Sehen Sie sich einige Arbeiten von Joe auf Alamy an
Man sagt ja, Vielfalt sei die Würze des Lebens. Für den auf Werbung und redaktionelle Fotografie spezialisierten Joe Wigdahl trifft das auf jeden Fall zu. Joes Werke lassen sich vielen Sparten zuschreiben, und seine Kundenliste kann man nur als umfangreich bezeichnen. Joe erklärt uns, welches Rüstzeug ein erfolgreicher Fotograf braucht - und wie er sich häufig von Filmen inspirieren lässt.
Als Joe Wigdahl seinen ersten gewerbsmäßigen Fotoauftrag bekam, sprang er nicht nur ins kalte Wasser, sondern sprang sprichwörtlich von der höchsten Klippe. Sein erster Kunde war das kreative Genie Leo Burnett und die Fotosession war für Marlboro, eine der weltweit größten Marken. Gar nicht schlecht für jemanden, der sich selbst als „zufallsbedingten Fotografen“ bezeichnet.
Aber ein Zufall ist es sicher nicht, dass aus Joe ein preisgekrönter Portrait- und Landschaftsfotograf wurde, zu dessen Kunden aus Werbung, Verlagswesen und Design Qantas, Subaru, Nikon, Pampers, Ikea, Vodafone, das Monocle Magazine und OPSM, der größte Brillenfachhändler in Australien und Neuseeland, gehören.
Joe wurde 1975 in einer Kleinstadt in Iowa im Mittleren Westen der USA geboren. An der Universität von Illinois in Urbana-Champaign begann er das Studium der Ingenieurwissenschaften. Da er sich aber immer mehr für Kunst zu interessieren begann, wechselte er zu diesem Studienfach, das auch Design, Malerei, Illustration und Fotografie beinhaltete. Er verließ die Uni mit einem Abschluss in Glasbläserei und Glasplastik.
Eine genaue Richtung für sein Arbeitsleben hatte er nach der Studienzeit noch nicht. „Ein paar Monate schlief ich bei meinen Eltern auf der Couch, kellnerte bei einer Restaurantkette und fühlte mich absolut schrecklich“, verrät er. Joes Eltern lebten außerhalb von New York, und so fuhr er immer in die Stadt, um sich nach Arbeit umzusehen. „Eines Tages schlug mir ein Freund aus Chicago vor, ich sollte es mal mit einer Stelle als Fotoassistent versuchen“, erinnert sich Joe. „Ich blätterte mich durch ein Buch mit den Werken der besten Fotografen und verschickte anschließend etwa 150 Faxe mit der Frage: „Brauchen Sie einen ahnungslosen Assistenten?“. Drei oder vier antworteten mir.“
Nachdem Joe für kurze Zeit als Fotoassistent in NY gearbeitet hatte, zog er 2001 nach Chicago, um dort schließlich als erster Assistent für den renommierten Werbefotografen Andrew Martin zu arbeiten. Dort hatte Joe eine Offenbarung: „Ich fand zufällig heraus, dass mir dieses ganze Fotografiezeug richtig leicht fällt. Es dockte an den Teil meines Gehirns an, der durch Wissenschaft und Ingenieurwesen analytisch geschult war, und an den künstlerischen Teil meines Hirns.“
Joe erläutert, warum die Fotografie sein Wesen so sehr anspricht: „Mir persönlich gibt die Fotografie so viel, weil sie wirklich unmittelbar ist - Ich genieße es, im Augenblick zu sein und versuche immer, das Geschehen dieses Augenblicks zu erfassen. Ich nehme alles in mich auf und lasse mich davon inspirieren - es steigert meine Sinneswahrnehmung. Was mich dann absolut überzeugt hat, war die Erkenntnis, wie sehr sich Fotografie und Glasbläserei ähneln.“
Joe hatte erst etwa drei Jahre als Fotoassistent gearbeitet, als ihm sein erster großer Durchbruch gelang: „Zusammen mit Freunden hatte ich ein Plattenlabel gegründet und war für die Fotos von den Musikern zuständig. Ich war in einem Studio, um einen Siebdruck von einem Bandposter zu machen, und hatte die Kontaktabzüge der Fotos von dieser Band dabei. Der Typ, der neben mir arbeitete, schaute sie sich an. Wir kamen ins Gespräch und er fragte nach meiner Telefonnummer.“
Zwei Wochen später wurde ich angerufen: „Und zwar von dem Typen aus dem Studio. Er war einer der leitenden Kreativchefs bei Leo Burnett. Und so war der erste bezahlte Auftrag, den ich als professioneller Fotograf übernahm, ein Fotoshooting mit mehreren Bands für eine Marlboro-Werbekampagne.“
Joe spürte den Erfolgsdruck, vertraute aber auf sein Können. „Ich hatte ja ein paar Jahre für einen Werbefotograf gearbeitet, die geschäftliche Seite des Ganzen war mir also vertraut. Ich kannte mich mit der Produktion, der Vorproduktion und der Zusammenarbeit mit den entsprechenden Teams aus. Mein eigener Fotostil war mir noch nicht klar, aber ich wusste, was ich tun musste, damit alles gut über die Bühne geht.“ Das Fotoshooting verlief gut, und Joe erhielt immer mehr Aufträge durch Mundpropaganda. „Und seitdem bin ich Berufsfotograf“, fügt er hinzu.
Als seine wichtigsten Einflüsse nennt Joe eher Filme als andere Fotografen: „Vom Fotojournalismus mal abgesehen sehe ich mir hauptsächlich Filme und die Arbeiten von Kameraleuten an. Für mich geht es in der Fotografie immer um das Geschichtenerzählen, also schau ich mir eher Filme an und beschäftige mich damit, wie Kameramänner visuelle Probleme lösen.“ Es gibt noch einen Grund, warum Joe eher zögerlich ist, wenn es darum geht, die Arbeiten seiner Berufskolleginnen und -kollegen zu studieren: „Ich will nicht, dass sich die Arbeit von Anderen versehentlich in meine Arbeit einschleicht. Und ich will auch nicht mit der Befürchtung zu einem Fotoshooting gehen, dass ich etwas mache, was der Arbeit eines Kollegen zu sehr ähnelt.“
Joe liebt die Kooperation, die für Werbefotografie unerlässlich ist. „Es gefällt mir nicht, meine Bilder in einem Vakuum zu erschaffen. Das man mit anderen Menschen zusammenarbeitet, liebe ich an der Werbefotografie besonders. Sie ist ein bisschen so wie eine Filmproduktion. Man tauscht sich mit anderen wie z. B. Designern und Kreativdirektoren aus und gewinnt so neue Erkenntnisse.“
Der soziale Aspekt der Fotografie ist genau sein Ding: „Eine der spannenden Sachen bei der redaktionellen Fotografie ist die Begegnung mit Menschen wie Architekten, Innovatoren, CEOs und großen Ideengebern, mit denen ich sonst wahrscheinlich nicht zusammenkommen würde“, meint Joe. Das erklärt, warum Joe nachdrücklich auf diese Tatsache hinweist: „Ein Studiofotograf, der acht bis zehn Stunden am Tag immer im selben Studio arbeitet, könnte ich nie sein. Da würde ich verrückt werden. Genauso gut könnte ich dann einen Bürojob machen.“
Selbst ein flüchtiger Blick in Joes Portfolio offenbart die unglaubliche Bandbreite seiner Arbeit, die Portraits und Landschaften ebenso wie Kinderfotografie, Sportfotografie und Momentaufnahmen beinhaltet. 2014 wurde Joe für sein bewegendes Portrait eines schwer kranken, jungen Mädchens (die wenige Monate danach verstarb) und ihrer Familie mit einem bedeutenden Fotopreis geehrt. Aber sein Portfolio enthält auch das fröhliche Bild einer Taube, die auf dem Fuß eines Sonnenanbeters sitzt.
Vielfalt lässt Joe richtig aufleben: „Ich hatte schon Agenten, die von mir verlangten, ich solle mein Arbeitsspektrum eingrenzen. Aber das konnte ich einfach nicht. Wenn man viele verschiedene Sachen fotografieren kann, kann man auch viele unterschiedliche visuelle Probleme lösen - und bei Fotoshootings für große Kampagnen muss ich das oft.“
Bei seiner Fototechnik wechselt Joe immer wieder zwischen Kameras von Nikon und Canon (gelegentlich auch von Sony). Außerdem ist er ein großer Fan von Objektiven des Herstellers Sigma Art. Von Mittelformatkameras hält er nicht so viel. „Ich bewege mich beim Fotografieren sehr viel und ich fotografiere sehr schnell hintereinander, außerdem möchte ich mich da auf die Autofokus-Funktion verlassen können. Mit einer schnellen Mittelformatkamera habe ich bislang einfach noch nicht gearbeitet.“ Außerdem verringert Joe die Nachbearbeitung seiner Bilder so weit wie möglich, er retuschiert nur selten: „In meiner Anfangszeit benutzte ich noch Film, da musste in der Kamera alles stimmen. Jetzt haben wir die digitale Fotografie, aber die damals nötige Disziplin hab ich noch heute.“
Joe steht nicht auf das Fotografieren im Dauerfeuermodus, bei dem man ohne Ende Bilder schießt und später nachbearbeitet. „Ich sitze nur sehr ungern am Computer - viel lieber bin ich unterwegs. Also würde ich lieber eine halbe Stunde länger draußen sein und das passende Licht abwarten, als sechs Stunden am Computer zu verbringen und das Licht anzupassen.“
Es gibt aber auch ganz praktische Probleme: „Viele Kunden möchten ihre Fotos innerhalb von 48 Stunden sehen, machen möchten sogar direkt nach der Fotosession die Festplatte mit den Aufnahmen mitnehmen. Man hat also keine Zeit, um 2000 Fotos zu bearbeiten. Und man möchte seinen Kunden auch nicht jede Menge Nachbearbeitung aufhalsen.“
Derzeit lebt Joe im australischen Sydney und ist so aktiv wie eh und je. Seine Ratschläge für Fotografen: „Macht mehr Fotos als ihr annehmt, dass ihr machen solltet. Und macht mehr Bearbeitung, als dass ihr zuschneidet. Ich mache meine Fotos immer rasch und gut durchgeplant, aber ich versuche auch Aufnahmen zu machen, die eher zufällig und noch besser sind, also fotografiere ich richtig viel.“
Die Bearbeitung ist entscheiden, fügt er hinzu. „Das Editing gehört zu den Dingen, die Filme richtig erfolgreich machen, und Fotografen sollten ihre Werke permanent bearbeiten und kuratieren - und zwar die auf der eigenen Webseite ebenso wie die für Kunden.“ Und noch eine Anregung von Joe: „Die Menschen versteifen sich oft auf bestimmte Ausrüstungen oder Techniken, und auch wenn das wichtige Aspekte sind, ist nichts davon wirklich ausschlaggebend, wenn man das Geschichtenerzählen durch seine Fotos nicht verstanden hat und nicht begreift, wie man ein fesselndes Bild schafft. Wenn wir einen Film oder ein Gemälde betrachten, beeindruckt uns nicht das Werkzeug des Malers oder Regisseurs, sondern die Art und Weise, wie er die großen Probleme mit seiner Erzählung der Geschichte auflöst.“
www.joewigdahl.com